Yoga

Was ist Yoga?

Seien wir doch ehrlich, wir wissen noch immer nicht, was Yoga wirklich ist. Wir kennen Hatha Yoga, Raja Yoga, Kriya Yoga, Kundalini Yoga und so weiter, das jedoch sind nur Elemente von Yoga. In der Literatur wird als Ziel, als Höhepunkt von Yoga Samadhi genannt. Samadhi aber ist ein Zustand des Seins, ein Fixstern in der Ferne, ein weit entfernter Traum in unserem Leben und kann nicht vom Verstand, durch Logik, durch rationales Denken erklärt werden. Im Augenblick sind wir noch auf dem Weg des Werdens, und erst, wenn wir den Zustand des Seins erreicht haben, werden wir in der Lage sein, zu verstehen, was Yoga wirklich bedeutet. Mit unserem augenblicklichen Verständnis ist Yoga ein Prozess der Entwicklung, des Erweckens und Aktivierens der verschiedenen Qualitäten des Lebens. Hierum geht es auf dem spirituellen Weg, und das bedeutet, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, um den Zustand des Seins, um Yoga zu erfahren.

Mit diesen Vorbereitungen stellen wir unseren Lebensstil und unseren Lebensprozess ein. Um eine Radiostation erreichen zu können, müssen wir die richtige Frequenz einstellen. Um etwas Transzendentales mit einem nicht transzendentalen Geist verstehen zu können, müssen wir uns bemühen, die Qualität des Geistes zu transformieren, so dass wir schließlich zu einem transzendenten Wesen werden.

Achtsamkeit und Positivität entwickeln

Der erste Auftrag, den wir in Yoga erfüllen müssen, ist die Entwicklung der Achtsamkeit. Langsam, Schritt für Schritt und ganz praktisch gilt es, den Horizont der persönlichen Achtsamkeit in Bezug zu unserer Selbstzufriedenheit weiter auszudehnen.

Als zweiter Auftrag in Yoga gilt es, sich der inneren Stärken bewusst zu werden, statt sich mit den normalen Schwächen zu identifizieren. Die Natur des Geistes drückt sich in der Welt gern tamasisch oder rajasisch aus. Tamas und Rajas stehen für einen konditionierten, einen engen Geist, ohne neue Werte oder Konzepte zu akzeptieren, nicht frei, um neue Horizonte zu entdecken oder Grenzen zu überschreiten, zufrieden mit den eigenen Ideen, Glauben, Systemen, Gedanken, der Lebensweise, der Absicherung wie „Ich bin in Ordnung“, um das eigene Ego und das Prestige ins rechte Licht zu rücken.

Tamasisches und rajasisches Verhalten sind eingeschränkt und begrenzend. Sie lassen die Größe und Offenheit des Selbst nicht zu, was sich deutlich in unserem Leben zeigt. Tragen wir ein Problem mit uns herum, nehmen wir es mit, ganz egal wo wir hingehen. Selbst wenn wir in eine ganz andere, glückliche Umgebung kommen, bleibt doch das gleiche Problem wie ein Magnet hinten in unserem Kopf, und wir wissen es sogar. Mit diesem Magneten wird es nicht möglich, sich einer neuen Erfahrung hinzugeben. Wir möchten sie machen und sind doch nicht in der Lage dazu.

Die Fallen der sinnlichen Identifikation

Solange wir die rajasischen und tamasischen Konditionierungen akzeptieren, geben wir dem sinnlichen Verlangen eine Chance. Diese Identifizierung jedoch ist das Problem. Der Körper ist das Medium, durch den wir über die Sinne mit der Welt interagieren, und dies geschieht, wenn wir wach sind, wenn wir träumen, wenn wir tief schlafen und auch in unseren Erinnerungen. Diese Interaktionen rufen unterschiedliche Ausdruckskräfte der Sinne und des Geistes hervor. Jede einzelne davon gehört zu einer bestimmten Gemütsverfassung, in der wir entweder froh oder niedergeschlagen, zufrieden und glücklich oder frustriert und voller Angst sind. Entsprechend der Gemütslage wird sich unsere Beziehung zur äußeren Welt verändern. Sind wir glücklich, sehen wir die Welt als rosigen Ort. Sind wir traurig, sehen wir die Welt als Ort des Grauens. Diese unterschiedlichen Gemütsverfassungen bedeuten eine totale Identifikation mit den Sinnen, sie führen zum Erfahren von Raga und Dwesha, Neigung und Abneigung.

In der Bhagavad Gita (2:62-63) heißt es dazu:

Das Verlangen nach einem Objekt erzeugt Anhaftung. Unerfüllte Besitzsucht führt zu Aggression, Frustration und Ärger. Mit einer solchen Gemütsverfassung bleibt die Weisheit getrübt. Mit getrübter Weisheit aber fehlt die Fähigkeit, richtige Entscheidungen zu fällen, richtig von falsch zu unterscheiden. Weiß man nicht, was richtig oder falsch ist, stirbt der Verstand. Mit dem Tod des Intellekts stirbt auch das Sein. Das ist die Aussage der Bhagavad Gita.

Harmonische Weisheit

Was also wollen wir werden? Indem wir positive, moralisch aufrichtende Qualitäten in unserem Leben entwickeln, unsere Stärken entdecken und nicht unsere Schwächen pflegen, können wir Weisheit erlangen, ein sthita prajna werden. Prajna ist Weisheit, angewandtes Wissen. Sthita bedeutet ruhig, ausgeglichen und harmonisch. Im zweiten Kapitel der Bhagavad Gita will Arjuna von Krishna wissen, woran man einen Menschen erkennt, der ausgewogene Weisheit erlangt hat, wie jemand mit dieser Eigenschaft auf dieser Erde lebt, wie er geht, denkt, sich verhält und agiert.

Krishna gibt ihm eine einfache Antwort. „Ein solcher Mensch bewegt sich genau wie du und ich. Er isst wie du und ich. Er schläft wie du und ich. Der einzige Unterschied liegt darin, dass du dich mit der Welt identifizierst, während der Weise sich mit dem Höheren Selbst identifiziert.“ Die Welt repräsentiert die tamasische und rajasische Natur, das Selbst steht für die sattwische, leuchtende Natur. Sich mit positiven Eigenschaften, mit den eigenen Stärken zu identifizieren, ist der zweite Auftrag in Yoga.

Sich mit den Yamas und Niyamas Sattwa nähern

Yama und Niyama bilden die zwei ersten Stufen von Patanjalis Yoga Sutras. Zu den Yamas gehören Eigenschaften, die wir entwickeln können, um die Kommunikation mit der äußeren Welt zu verbessern. Satya, Wahrhaftigkeit; Ahimsa, Abwesenheit von Gewalt, nicht nur äußere Gewalt, den Geist und die ganze Persönlichkeit freihalten von Gewalt; Asteya, frei sein von der Sucht des Habens; Aparigraha, nicht horten, nicht besitzergreifend sein; Brahmacharya, jederzeit die Führung einer höheren Kraft anerkennen.

Mit Hilfe der Niyamas können wir unser inneres Leben verbessern. Shaucha, Reinheit des Körpers, des Geistes, der Sprache, der Gedanken und der Handlung; Santosha, Zufriedenheit, sinnliches Verlangen zurück halten; Tapasya, bereit für Veränderung, bereit Notwendigkeiten zu akzeptieren, damit die Veränderung zum besseren stattfinden kann; Swadhyaya, Erkennen, wie der Körper, der Geist, die Sinne und das höchste Bewusstsein miteinander in Kontakt sind; Ishwara Pranidhana, mit dem göttlichen Willen im Einklang leben und an sich selbst glauben. Ob du das Selbst als Gott oder als dich selbst bezeichnest, ist deine eigene Sache. Wichtig ist, dass du existierst, also habe Vertrauen in diese Existenz, die ewig ist. Willst du das Wort Gott oder das Wort Selbst nicht benutzen, kannst du auch Existenz sagen.

Dieses sind die Schlüssel, mit denen sich die menschliche Persönlichkeit auf Sattwa einstellen kann. Es sind die Schlüssel, mit denen die Persönlichkeit in Ahimsa, in Satya, in Asteya, in Aparigraha etc. gestimmt werden kann. Das Erlangen dieser Eigenschaften wird das Höhere Selbst oder die Seele nähren. So, wie der Körper mit Nahrung gefüttert wird und der Geist mit Freude, so braucht die Seele angemessene, diese positiven, aufrichtenden Eigenschaften. Wenn du etwas Gutes tust, macht dich das für lange Zeit glücklich. Du fühlst dich freudig erregt, spontan, natürlich, und alles ohne äußere Hilfe. Das ist ein Beispiel dafür, wie positive Eigenschaften deine Wahrnehmung, deine Motivationen, deine Kreativität und deine Fähigkeiten verändern und verbessern können. Der zweite Auftrag in Yoga ist daher, zu lernen, die tamasischen und die rajasischen Kräfte zu beherrschen und auf die sattwischen einzustimmen.

Yoga – ein Prozess des Werdens

Diesen Prozess versuchen wir zu erfahren, und das führt uns in einen Seinszustand, in dem wir uns mit dem sattvischen Aspekt unseres Lebens identifizieren. Im Prozess des Werdens wenden wir die verschiedenen Methoden und Übungen von Hatha Yoga, Raja Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga, Kriya Yoga, Kundalini Yoga, Nada Yoga, Mantra Yoga, Laya Yoga und die vielen anderen in der Tradition beschriebenen Yogawege an.

Die verschiedenen Zweige von Yoga beinhalten Übungen, mit denen wir eine bestimmte Eigenschaft oder Fähigkeit, unsere schöpferische Kraft, die wir erlangen wollen, vervollkommnen. Ein Bildhauer wurde einmal gefragt, wie er eine so wunderschöne Skulptur aus einem simplen Felsbrocken heraushauen kann. Er sagte darauf, dass die Schönheit dem Felsen innewohnt, und dass er nur die unwichtigen Teile entfernen muss. Genau das ist der Prozess des Werdens für einen Yogi. Wir fangen an, unnötige Teile unseres Lebens, unserer Persönlichkeit zu entfernen, solche, die uns und damit jeden Gedanken, jedes Verhalten, jede Handlung konditionieren. Konditionierung ist wie ein Magnet, der Eisenspäne in Form von Denken, Ausdrücken, Kommunizieren, Wünschen, Mögen und Nichtmögen, Glück und Trauer, Euphorie und Depression etc. anziehen.

Swami Satyananda äußerte sich so dazu. „Entferne Unrat und Schlacken. Entferne das Unnötige, das Unerwünschte. Erhalte, kultiviere und entwickele das Wünschenswerte. Lerne zu bereinigen, zu berichtigen und dich anzupassen. In dieser Weise entwickele die Fähigkeit, die tamasischen und rajasischen, die negativen Einprägungen, die uns auf der äußeren und groben Bewusstseinsebene festhalten, zu entfernen. Identifiziere dich mehr mit der inneren Intuition, die sich auf Nyaya, der Gerechtigkeit und Dharma, der Tugend, gründet.“

Die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit zu Sattwa, dem Erlangen der brillanten Eigenschaften, einer besseren Wahrnehmung, eines besseren Verständnisses und einer besseren Ausdruckskraft ist der Anfang der Reise des Menschen.

Ist Liebe wichtiger als Vertrauen?

Vertrauen ist die wertvollste Eigenschaft. Du kannst jemanden lieben ohne ihm zu vertrauen. Sprechen wir von Liebe, heißt das nicht unbedingt, dem Geliebten voll zu vertrauen. Du denkst, gibst jedoch nicht alles, sondern hältst etwas zurück. Dieses Alles geben ist Vertrauen. Vertraust du jemandem, ist das mehr als Liebe, weil du mit deinem Vertrauen alles gegeben hast und es gibt daher keine Grenze zwischen dir und dem Anderen. In der Liebe ist das totale Geben nicht unbedingt nötig, und dadurch wird eine Liebesbeziehung oft zu einer r Gefangenschaft, führt zu Unfreiheit und weiterer Konditionierung. In einer solchen Beziehung sprießen die negativen Eigenschaften – Eifersucht, Besitzergreifen, Aggression. Die meisten Menschen kennen diese Art der Liebe.

Vertrauen dagegen lässt sich nicht begrifflich erfassen. Du hast es ganz einfach, genauso wie deinem Körper Leben geschenkt wurde. Das Leben selbst ist Vertrauen. Niemand wird ohne Vertrauen geboren. Du lebst, weil du Vertrauen hast. Diese Eigenschaft wurde jedoch so gedeutet, dass sie in ein Objekt, einen Behälter, ein Wesen hinein gegeben wird.

Vertrauen ist ein Ausdruck deiner Unschuld verbunden mit Weisheit. Dieses Vertrauen ist in dir, denn Vertrauen in dich selbst ist Vertrauen in die Eigenschaften, die dir inne wohnen und entwickelt werden können. Willst du geliebt werden, sei freundlich zu jedem. Willst du nicht gemocht werden, sei eklig zu jedem. So einfach ist das. Wenn jemand dauernd eklig ist, kann er nicht geliebt werden, ganz egal, was er unternimmt. Ist jemand freundlich, dann mag man ihn einfach. Vertrauen in dich selbst zu haben, an das zu glauben, was du bist und was du kannst, ist der erste Schritt in Richtung Vertrauen. An das zu glauben, was du bist, sollte frei sein vom Schatten oder der Färbung des Egos, ohne den Schatten von Zweifel, von Arroganz in die eigenen Stärken, Fähigkeiten und das Erreichte. Das ist die Bedingung.


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