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Yoga Nidra
Yoga Nidra ist eine systematische Methode, um physische, mentale und emotionale Entspannung herbeizuführen. Der Begriff Yoga Nidra wird von zwei Sanskritwörtern abgeleitet: Yoga bedeutet Vereinigung oder auf einen Punkt gerichtet sein; Nidra bedeutet Schlaf. Während der Yoga Nidra Übung scheint man zu schlafen, auf einer tieferen Ebene jedoch ist Bewusstheit vorhanden. Aus diesem Grund wird Yoga Nidra auch als psychischer Schlaf oder Tiefenentspannung mit innerer Bewusstheit bezeichnet. Auf dieser Schwelle zwischen Wachen und Schlafen wird unwillkürlich die unter und die unbewusste Dimension berührt.
Yoga Nidra Inhaltsverzeichnis:
Yoga Nidra - der bewusste Schlaf
- Yoga Nidra - Einordnung in den klassischen Yoga Weg
- Kreisen der Wahrnehmung durch den Körper in Yoga Nidra
- Gegensatzpaare
- Wachen, Träumen, Schlafen und Yoga Nidra
- Bewusstseinsebenen durch Yoga Nidra wahrnehmen
- Bewusstseinszustände in Yoga Nidra
- Der hypnagogische Zustand
- Visualisierungen in Yoga Nidra
- Sankalpa
- Yoga Nidra als Lösung weltweiter Probleme
Wie funktioniert Yoga Nidra?
Die Wirkung von Yoga Nidra auf die Gesundheit
Wie mache ich Yoga Nidra?
Yoga Nidra ist der Schlüssel, Yoga zu verstehen
- Yoga verstehen bedeutet sich selbst verstehen.
- Der Yoga Nidra Zustand in den großen Schriften
- Yoga Nidra als Übung
- Swami Satyananda und Yoga Nidra
- Nyasa – eine tantrische Technik und Wurzel des Yoga Nidra
- Das Sankalpa
- Der Bezug zu Patanjali und seiner Geisteslehre
- Aufbau von Yoga Nidra
- Yoga Nidra in anderen Lebensbereichen
- Bihar School of Yoga und Bihar Yoga Bharati
- Zusammenfassung
Die Zähmung der wilden Gedanken
- Die Gedanken beruhigen mit Yoga Nidra
- Wie Yoga Nidra entstanden ist
- Entspannung bei voller Wahrnehmung
- Wie wir uns aufnahmefähig machen können
- Yoga Nidra mit Kindern
- Therapeutische Bedeutung von Yoga Nidra
Yoga Nidra - der bewusste Schlaf
Es ist Swami Satyananda Saraswati, dem Begründer der Bihar School of Yoga in Munger, Indien, zu verdanken, dass uns heute eine Tiefenentspannung zur Verfügung steht, deren Wirkungen weit über die gewohnte Vorstellung von Entspannung hinaus geht. Er nannte die aus der alten tantrischen Wissenschaft entnommene Methode oder Übung Yoga Nidra. Durch ein eigenes Erlebnis motiviert, studierte er die tantrischen Schriften. Aus den komplizierten und zeitaufwendigen Praktiken entwickelte er ein neues System, das den heutigen Bedürfnissen angepasst ist, und unabhängig von Alter, Religion oder Kultur von jedem angewendet werden kann.
Yoga Nidra als dauerhafter Zustand ist den Yogis seit undenklichen Zeiten bekannt und dieser Zustand ist universal, jeder kann ihn erlangen. Die Übung Yoga Nidra jedoch, so wie sie heute vielerorts bekannt ist, ist eine von Swami Satyananda entwickelte Übung oder Technik. Sie bildet praktisch die Essenz seines ganzen von ihm entwickelten Systems, das heute als Satyananda Yoga bekannt ist.
Die Mängel des modernen technologischen Lebensstils werden heute von vielen sensiblen Menschen wahrgenommen, was zur Folge hat, dass Entspannungsangebote wie Pilze aus dem Boden schießen. Nur wenige davon werden jedoch dem Anspruch gerecht, wissenschaftlich fundiert zu sein und eine tiefe und systematische Entspannung auf allen Ebenen zu ermöglichen. Genau das ist das Besondere der Tiefenentspannung Yoga Nidra. Mit Yoga Nidra erhält der Einzelne etwas an die Hand, womit er grundlegende Veränderungen in seinem Leben vornehmen kann. Das hat zwangsläufig seine Auswirkung auf die Gesellschaft. Yoga Nidra ist der bewusste, der dynamische oder auch der psychische Schlaf, und diese Übung wird hier beschrieben.
Yoga Nidra - Einordnung in den klassischen Yoga Weg
Aus der Fülle der alten Yogaschriften nimmt ein Werk mit Sicherheit einen besonderen Platz ein. Es ist das "Yoga Sutra" von Patanjali. Über Patanjali ist wenig bekannt; er soll ein- oder zweihundert Jahre vor Christus gelebt haben. Jedoch ist er es, der in genialer Weise den bis dahin vielschichtigen Yoga als klaren Übungsweg in acht Stufen dargelegt hat, wofür er nur 196 Aphorismen (Verse) benötigte. Um menschliche Vollkommenheit zu erlangen, müssen die verschiedenen Elemente der menschlichen Natur erkannt und beherrscht werden, was durch einen systematischen Übungsweg möglich ist.
Zuerst soll der Körper von Rastlosigkeit und Unreinheit befreit werden, dann wird das Denken geläutert und beruhigt. So erst wird es möglich, sich den nächsten Stufen, Konzentration und Meditation, spannungsfrei und ohne Ablenkung zu widmen. Auf diese Weise kann der Mensch wahrhafte innere Freiheit erlangen. Die von ihm genannten acht Stufen müssen wir durchlaufen, wollen wir den höchsten Bewusstseinszustand und damit Freiheit erlangen.
Diese Stufen sind:
- yama (5 Regeln für das äußere Verhalten)
- niyama (5 Regeln für den inneren Umgang)
- asana (Erkennen des Körpers)
- pranayama (die Ausdehnung der Dimension von Prana, Lebensenergie)
- pratyahara (Loslösung des Geistes von den Sinneseindrücken)
- dharana (Konzentration)
- dhyana (Meditation)
- samadhi (Zugang zu allen Bereichen des Bewusstseins, Erleuchtung)
Patanjali gibt schon im zweiten Sutra Auskunft auf die entscheidende Frage, was Yoga ist:
yoga chitta vritti nirodaha
„Das Meer des Bewusstseins von den Mustern oder Wellen zu befreien, ist Yoga“.
Das Wort Vritti bedeutet Welle oder Ausprägung des Bewusstseins (chitta). Die Chitta Vrittis sickern in das Gehirn, verursachen eine Veränderung seines elektrischen Potentials, insbesondere in der Großhirnrinde, und bilden ein Gehirnwellenmuster.
Diese Vrittis hat er in fünf Grundmuster eingeteilt:
- rechtes Wissen – pramana
- falsches Wissen - viparyaya
- Phantasie oder Einbildung – vikalpa
- Schlaf oder Nichtbewusstheit – nidra
- Erinnerung - smriti
Eines der fünf Vrittis ist also Nidra, Schlaf oder Nicht-Bewusstheit, das zweite Wort im Begriff Yoga Nidra. Schlaf oder Nicht-Bewusstheit ist nicht nur der vorherrschende Zustand in der Nacht. Unser ganzes Leben ist davon geprägt. Meist sind wir mit unseren Gedanken entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft, selten jedoch im Hier und Jetzt. Da das jedoch der einzige Moment ist, in dem Leben wirklich stattfindet, in dem wir frei sind von Ängsten, Sorgen, Problemen, Stress und Überforderung, versuchten Weise und Seher von frühester Zeit an, Wege aufzuzeigen, um diesen bewussten Zustand zu erlangen. Und das genau ist der Sinn der Übung Yoga Nidra.
Die Übung Yoga Nidra bedeutet, "bewusster Schlaf" oder "dynamischer Schlaf", ein Zustand, in dem sich alle Ebenen des Bewusstseins bewusst betreten lassen. Yoga Nidra hat einen ganz bestimmten systematischen Ablauf. Die Übung führt von der äußeren Ebene der Wahrnehmung systematisch in tiefere Ebenen des Seins und von dort wieder systematisch zurück. Darin eingebettet sind verschiedene Elemente mit einem klaren Aufbau, von den Anfängen bis zur hohen Schule von Yoga Nidra. Die einzelnen, logisch nachvollziehbaren Schritte der Übung bleiben selbst für den Übenden deutlich erkennbar. Die verbale Führung erfordert Übung, um sich mit dem so wichtigen monotonen Sprechen vertraut zu machen. Die Angaben von Swami Satyananda Saraswati in seinem Buch "Yoga Nidra" sind klar und präzise.
Auch wenn die einzelnen Elemente dem jeweiligen Übungsgrad entsprechend variiert werden können, bleibt die Grundstruktur immer erhalten:
- Vorbereitung - Führung durch Shavasana, die Totenhaltung, Körperwahrnehmung, Atemwahrnehmung.
- Entspannung - die von allein entsteht, wenn die Achtsamkeit durch den Körper, zum Atem, zu Geräuschen etc. gelenkt wird.
- Sankalpa - Vorsatz, Entschluss.
- Kreisen - der Wahrnehmung durch den Körper.
- Atem - beobachtet auf unterschiedlichen Wegen.
- Gegensatzpaare - Wachrufen von verschiedenen gegensätzlichen Empfindungen, z. B. schwer/leicht.
- Bildgeschichten - Übung des Wachrufens verschiedener beweglicher Bilder.
- Visualisierung - von Bilderfolgen in schneller Wiederholung aus einer großen Bilderauswahl.
- Innerer Raum - Betreten von Chidakasha, dem Raum des Bewusstseins vor den geschlossenen Augen.
- Sankalpa - zur Vertiefung.
- Abschluss - systematische Rückführung in die äußere Welt.
Eine verbale Führung ist, zumindest für eine lange Anfangszeit, sehr wichtig. Möchte man andere durch die Yoga Übung führen, muss man sich zuerst über eine lange Zeit selbst führen lassen. Nur so wird es möglich sein, die Übung so anzusagen, als mache man sie selbst. Sie wird von innen in korrekter Reihenfolge abgerufen und nicht einfach vorgelesen. Die Haltung ist eher die eines unbeteiligten Zuschauers, die Stimme mehr oder weniger monoton. Das erfordert ein gutes Training.
Betrachtet man den Aufbau der verschiedenen Stufen, lässt sich erkennen, dass mehr als ein Drittel der Übung der Wahrnehmung des Körpers gilt. Während dieser Zeit geht es darum, Körper und Geist zu einer Einheit zu führen, was sie ja auch sind, was wir jedoch im Alltag selten beachten. Ist die Wahrnehmung auf den Körper gerichtet, können die Gedanken nicht ausbrechen und eigene Wege gehen. Die Aufforderung, während der ganzen Übung achtsam zu bleiben, taucht immer wieder auf; es ist die einzige Regel für Yoga Nidra.
Kreisen der Wahrnehmung durch den Körper in Yoga Nidra
Wenn die Wahrnehmung durch den Körper geführt wird, von einem Körperteil zum nächsten, wird eine immer wiederkehrende Folge festgelegt, die sich nicht ändert. Der Name des Körperteils wird gedanklich wiederholt. Diese Praktik entspringt einer Jahrtausende alten Übung aus dem Tantra mit dem Namen nyasa. Sie erhöht den Fluss pranischer Energie im Nervenkreis des motorischen Homunculus. Durch diesen Strom nimmt man subjektiv Entspannung, Erleichterung oder "Loslassen" wahr, denn es entsteht eine sofortige Trennung des Bewusstseins von den senso-motorischen Wahrnehmungskanälen.
Die Sinne ziehen sich von den Sinnesobjekten zurück. Das ist der so wichtige Zustand von Pratyahara, der fünften Stufe aus Patanjalis „Yoga Sutra“ (siehe Anfang). Jeder der berührten Körperteile hat einen Gegenpunkt im Gehirn, das sich durch diese Übung zutiefst entspannen kann. Gleichzeitig wird jeder Körperteil durch die gedankliche Wiederholung des Namens mit Energie aufgeladen.
Dieser Teil der Übung ist besonders wichtig und zeigt eine deutliche Verbindung zwischen der modernen Neurochirurgie und der Meditationstechnik Yoga Nidra, die der Tantra Lehre entspringt. Wer mit Yoga Nidra vertraut ist, wird die Markierungen auf der senso-motorischen Hirnrinde als genau die Teile des Körpers erkennen, die bei der Körperreise mit der Wahrnehmung berührt werden.
Das Gehirn ist unser Instrument, um Körper, Gedanken und Gefühle zu einer harmonischen Einheit zusammenzufügen. Der Neurochirurg wirkt auf den Körper ein, indem er das Gehirn stimuliert. Der Yoga Nidra-Schüler beginnt am anderen Ende des Nervenweges - er steigert die Körperwahrnehmung und stimuliert damit das Gehirn. Indem die Wahrnehmung zu den diversen Körperteilen getragen wird, entsteht nicht nur eine körperliche Entspannung, sondern gleichzeitig werden auch alle Nervenbahnen zum Gehirn gereinigt. Ist zum Schluss dieser Stufe der ganze Körper in der Wahrnehmung, wird die gesamte Oberfläche des Gehirns berührt. In Yoga Nidra wird daher das Bewusstsein entspannt, indem sich der Körper entspannt.
Gegensatzpaare
Auch das Wachrufen gegensätzlicher Empfindungen hat einen harmonisierenden Einfluss auf das Gehirn. Bei einem ausgeglichenen, in sich ruhenden, offenen und kreativen Menschen sind die beiden Hirnhemisphären in Balance, beide können jederzeit abgerufen werden und arbeiten sogar zusammen. Auf die meisten Menschen trifft das nicht zu, weshalb sich unser Leben in einem ständigen Auf und Ab befindet. Während Yoga Nidra wird dazu aufgefordert, gegensätzliche Gefühle in schnellem Wechsel aus den Tiefen des Bewusstseins an die Oberfläche zu holen, sich zu erinnern. Mit Hilfe dieser Übung stellen wir die so notwendige Verbindung zwischen den beiden Hirnhemisphären her, wodurch ganz neue Fähigkeiten entdeckt und freigesetzt werden.
Wachen, Träumen, Schlafen und Yoga Nidra
Einen größeren Zugang zu unserem Bewusstsein zu erlangen, von dem wir laut moderner Wissenschaft nur ein Zehntel nutzen, während neun Zehntel inaktiv sind, ist ein wichtiger Aspekt von Yoga Nidra. Yogis, Psychologen und Physiologen sind sich darin einig, dass es drei fundamentale und unterschiedliche Erscheinungsformen des individuellen menschlichen Bewusstseins gibt. Es sind die Zustände von Wachsein, Traum und Tiefschlaf. Jeder davon, auch der Grenzbereich von Yoga Nidra, konnte mit einem bestimmten Muster in der elektrischen Hirnaktivität, den Gehirnwellen, in Verbindung gebracht werden.
Während alle drei Zustände zum Leben gehören und zu unterschiedlichen Zeiten erfahren werden, halten die meisten Menschen den Wachzustand für den einzig realen. Über den Traumschlaf- und den Tiefschlafzustand ist sehr wenig bekannt. Die moderne Forschung hat uns jedoch inzwischen viele Hinweise auf die psycho-physiologischen Funktionen und Merkmale des Schlafs gegeben, und dies hat eine wissenschaftliche Analyse von Yoga Nidra in vielfacher Form möglich gemacht.
Bewusstseinsebenen durch Yoga Nidra wahrnehmen
Um in den Zustand des bewussten Schlafs zu gelangen, muss sich das Muster der Gehirnwellen ändern. Das menschliche Gehirn befindet sich in einem fortwährenden Zustand elektrischer Aktivität, die von einem EEG (Elektroenzephalograph) in Form von Gehirnwellen gelesen werden kann. Durch das Anbringen von Elektroden auf der Kopfhaut und die Weiterleitung über Verstärker zu einem Kathodenstrahl-Oszillographen wird die elektrische Aktivität des Großhirns aufgezeichnet.
Im Wachzustand ist das Bewusstsein durch die Sinneserfahrung mit der Außenwelt beschäftigt. Hier herrschen die Betawellen vor, es ist ein schneller Rhythmus, die Frequenz beträgt 14 – 20 Hz und mehr (Schwingungen pro Sekunde).
Während der Traumphase ist das Unterbewusste vorherrschend, unterdrückte Wünsche, Ängste, Verbote und tiefsitzende Eindrücke (Samskaras) werden aktiv; Thetawellen treten als große 'Zwischenwellen' mit einer Frequenz von 4 – 8 Hz auf.
Im Tiefschlaf zeigt sich das Unbewusste, die Quelle aller Instinkte und Triebe sowie tief eingegrabener Erfahrungen aus früheren Evolutionsstufen. Im Gegensatz zum Traumzustand gibt es keinerlei mentale Aktivitäten, alle Schwankungen verschwinden. Die Samskaras und die Vasanas (die latenten Wünsche) sind inaktiv, Bewusstsein und Körper sind wie gelähmt. Sowohl Bewusstsein als auch Prana (Lebensenergie) ziehen sich aus den physischen und mentalen Bereichen zurück und richten sich zur nicht sichtbaren kreativen Quelle. Hier zeigen sich die langsamen Deltawellen (Frequenz 0,5 - 4 Hz); es ist die fundamentale rhythmische Schwingung des sichtbaren Universums.
Bewusstseinszustände in Yoga Nidra
Der hypnagogische Zustand
Die Rhythmen Beta, Theta und Delta gehören somit zu den uns bekannten drei Bewusstseinsebenen – wachbewusst, unterbewusst und unbewusst. Zwischen Wachzustand und Traum liegt eine weitere sehr wichtige Bandbreite der Wahrnehmung und der Erfahrung; in der Psychologie wird dies als der 'hypnagogische Zustand' bezeichnet. Es sind Alphawellen (8 – 14 Hz), die dann auftauchen, wenn wir bewusst sind. Auch im Alltagsleben sind sie präsent, werden jedoch völlig von den Betawellen überlagert, wenn wir uns im Zustand des Nichtbewusstseins (Nidra) verlieren.
Der Alpha-Zustand ist darüber hinaus charakteristisch für den Übergang vom Wachen zum Schlafen und zurück. Diese Übergangsphase dauert meist nur wenige Sekunden. Hier zeigt sich eine tiefe und wachsende Entspannung, die Muskeln lockern sich, Haltungsverspannungen lösen sich, die Wahrnehmung der Außenwelt verliert sich. Während die Realität des Wachzustandes langsam erlischt, tritt an ihre Stelle der Zustand des Tiefschlafs oder der Traumerfahrungen; am Morgen nach dem Aufwachen ist der Weg umgekehrt. Der Yoga Nidra-Zustand entsteht somit auf der Grenzlinie zwischen Wachen und Schlafen.
Verharren wir wachsam und bewusst zwischen Wachen und Schlafen im Alphazustand, erlangen wir eine tiefe und vollkommene Entspannung. Das ist nicht nur sehr viel wirkungsvoller und wohltuender als normaler Schlaf, sondern es ist auch ein hilfreicher Weg zur Heilung vieler Störungen und Krankheiten, besonders dann, wenn es sich um psychosomatische Erkrankungen handelt. Es ist der ideale Zustand für Lernen, und ein großes Arbeitspensum kann mühelos erledigt werden. Darüber hinaus ist es die Pforte zu einer höheren Bewusstseinsebene.
Die meisten Menschen schlafen, ohne ihre drei Spannungsarten, die Muskelverspannungen, die Mentalverspannungen und die Gefühlsverspannungen, vorher aufzulösen, weil sie sofort vom Beta-Zustand in den Deltazustand hineingleiten, ohne vorher die Alphaplattform mit der Möglichkeit der ganzheitlichen Entspannung zu durchlaufen. Das erklärt, warum so viele Menschen am Morgen müde und zerknirscht aufwachen. Auch während des Schlafs kann tiefe Entspannung nur dann entstehen, wenn sich die Alphawellen verstärken und ein geringes Maß an Bewusstheit vorhanden ist.Im Unterschied zum ungeübten Schlaf, in dem die Alphawellen gänzlich absinken, wird in Yoga Nidra eine Zwischenstufe errichtet, auf der die Alphawellen konstant bleiben, weil die Bewusstheit erhalten bleibt und somit tiefe Entspannung vorherrscht; es ist die Stufe zwischen dem betadominanten Wachzustand und dem langsamen Delta-Rhythmus des Tiefschlafs. Durch Yoga Nidra schaffen wir eine hohe und wirkungsvolle Qualität des Ausruhens; der Körper wird erfrischt und der Geist rein und klar.
Die Erfahrung des Alpha-Zustands ist für die meisten Menschen kurz vorm Einschlafen und nach dem Aufwachen möglich. Oft sind es jedoch nur wenige Sekunden oder Minuten. Diese Zeiten systematisch auszudehnen und den Bewusstseinsfaden festzuhalten, von wenigen Sekunden auf fünfzehn, dreißig oder mehr Minuten, wird durch die Übung möglich. So können wir mit bewusster Wahrnehmung schlafen und bewusst unseren Alltag leben. Durch bewusstes Schlafen und Träumen lässt sich die psychische Ebene betreten. Wir erhalten Zugang zu ungeahnten Fähigkeiten und erkennen, wer wir sind, was der Sinn unserer Existenz ist. Es lässt sich der vierte yogische Bewusstseinszustand (turiya) erfahren, der über dem individuellen Bewusstsein liegt. Durch Yoga Nidra bekommen wir Kontakt zu der Quelle der Selbsterkenntnis und der Inspiration, die in jedem von uns ruht.
„Neurophysiologisch spiegelt sich diese erhöhte Bewusstheit in der elektro-physiologischen Hirntätigkeit wider, durch die sich die Tätigkeit der höheren Hirnrinde (Kortex) verbessert - dies ist das zuschauende, das 'bewusste Gehirn’; gleichzeitig erhöht sich die Kontrolle über das 'emotionale Gehirn' mit dem limbischen System, und seine Erregbarkeit reduziert sich. Ein Mensch mit einem hohen Grad innerer und äußerer Wahrnehmung und einer gleichzeitig sinkenden emotionalen Reaktion ist Ausdruck für diese Weiterentwicklung.
Yoga Nidra führt somit zu immer höherer Selbstwahrnehmung, durch die sich ein Kontroll- und Regulierungsmechanismus im Gehirn aufbaut. Sie zeigt sich durch größere autonome Stabilität und verbesserte emotionale Steuerung sowie einer wachsenden Kraft, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“
(aus: “Yoga Nidra”, von Swami Satyananda Saraswati.
Visualisierungen in Yoga Nidra
Im letzten Drittel der Übung können Geübte die Kraft der Visualisierung einsetzen. In einem Moment, in dem der langsame Delta-Rhythmus zusammen mit dem Alpha-Rhythmus vorherrschend sind, das ganze Gehirn, das gesamte Bewusstsein zutiefst entspannt sind, lassen sich die tiefen Schichten des Unbewussten betreten. Das geschieht, in dem universale Bilder aufgerufen werden, was schnell geschehen muss, damit der Übende sich nicht in den Tiefen verliert. Alte Einprägungen kommen an die Oberfläche und werden noch einmal erlebt. Dieses erneute Erlebnis ist völlig wertfrei und die oftmals traumatische Fessel löst sich mühelos.
Sankalpa
Jeder Vorsatz, jeder Entschluss erfordert einen ausbalancierten Bewusstseinszustand, der mit innerer und äußerer Entspannung einhergeht. Oft wird das nicht beachtet, jeder Tag fließt über mit guten Vorsätzen, nur wenige jedoch lassen sich verwirklichen. Das erzeugt Unzufriedenheit. Sankalpa ist ein Sanskritwort und kann als Entschluss oder Vorsatz übersetzt werden. Es ist eine wichtige Stufe von Yoga Nidra und gleichzeitig eine kraftvolle Methode, um der Persönlichkeit eine positive Richtung zu geben.
Das Sankalpa ist eine kurze mentale Aussage, die in das Unterbewusste gelegt wird. Dies geschieht in einem Moment, in dem das Unterbewusste entspannt und aufnahmebereit ist, und das ist es im Zustand von Yoga Nidra. Nachdem der Same in Form des Sankalpas gelegt wurde, zieht er die dort ruhenden unendlichen geistigen Kräfte in sich zusammen, um sie aufblühen zu lassen. Keine Persönlichkeit ist unveränderbar, keine Angst ist so tief verwurzelt, dass sie nicht durch eine solche Kraft ausgerissen werden kann.
Der Sinn des Sankalpas liegt nicht darin, sich Wünsche zu erfüllen, sondern die Struktur des Geistes und die innere Willenskraft zu stärken. Das Sankalpa ist eines der wichtigsten Elemente von Yoga Nidra. Die daraus hervorgehende Kraft muss behutsam gepflegt werden.
Yoga Nidra als Lösung weltweiter Probleme
Swami Satyananda Saraswati sieht die Weltprobleme nicht vorrangig in Hungersnot, Armut, Drogen oder Kriegsangst, sondern in aufgestautem Stress und Verspannungen des Einzelnen, die durch ständige Überforderung des Nervensystems entstehen. Diese inneren Spannungen des Menschen liegen den kollektiven psychischen Spannungen zugrunde und sind der Ausgangspunkt für unglückliches Familienleben, für Chaos und Unordnung im gesellschaftlichen Leben, für Aggression und Kriege zwischen den Nationen.
Der innere Frieden ist Voraussetzung für äußeren Frieden. In Munger (Indien) öffneten sich 1995 die Tore zur ersten Yoga Universität der Welt, Bihar Yoga Bharati. Hier gehört Yoga Nidra in den normalen Lehrplan. Die Studenten aus aller Welt, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Kulturen, Muttersprachen, werden täglich durch die Übung geführt, und gleichzeitig studieren sie den theoretischen Hintergrund mit physischen, psychologischen, philosophischen und praktischen Aspekten. Ein yogisches Studium, dass auf professionelle Ausübung in Wirtschaft, Bildung und im Gesundheitswesen vorbereitet, ist ein Garant dafür, dass eine Methode wie Yoga Nidra für die Entwicklung und für das Wohl der Menschheit ihren Platz findet.
Aus: Presse-Artikel: Visionen – yoga nidra 17.1.2003
Wie funktioniert Yoga Nidra?
Yoga Nidra ist eine einfache und doch äußerst fundierte Meditation, entwickelt von Paramahamsa Satyananda Saraswati, welche auf dem traditionellen tantrischen Nyasa basiert.
In Yoga Nidra wird der Zustand der Entspannung durch das Zurückziehen von der Außenwelt erreicht, verbunden mit einem Sich-Nach-Innen-Wenden. Kann das Bewusstsein von der äußeren Wahrnehmung und gleichzeitig vom Schlaf getrennt werden, wird es sehr kraftvoll und kann auf vielerlei Arten genutzt werden, z.B. um das Gedächtnis zu schulen, um Wissen und Kreativität zu vertiefen oder um die ganze Persönlichkeit neu zu gestalten. Patanjali spricht in den Raja Yoga Sutras von Pratyahara, einem Zustand in dem der Geist von den Sinneskanälen losgelöst wird. Yoga Nidra ist einer der Aspekte von Pratyahara und führt in die höheren Stufen der Konzentration und in Samadhi.
In Yoga Nidra ist das Bewusstsein in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen, identifiziert sich jedoch mit keinem der beiden Zustände. In der modernen Psychologie kennt man dafür den Begriff hypnagogischer Zustand. In diesem Zustand ist der Geist äußerst aufnahmebereit, Sprachen und andere Lernstoffe können schnell gelernt werden. Durch Autosuggestionen, die zu diesem Zeitpunkt eingegeben werden, können unerwünschte Angewohnheiten und Neigungen erfolgreich eliminiert werden. Was man sich in Yoga Nidra vornimmt, wird sich erfüllen.
In Yoga Nidra kann die Grundstruktur des Geistes verändert werden, Krankheiten können geheilt, die kreative und schöpferische Kraft kann wiederhergestellt werden. Im Unter- und Unbewussten des menschlichen Wesens ruhen die machtvollsten Kräfte, und in diese Tiefen können wir durch die einfache Technik von Yoga Nidra gelangen. Das Unterbewusste ist ein sehr gehorsamer Schüler, der sofort die Befehle ausführt, die ihm gegeben werden. Beherrscht man die Technik von Yoga Nidra, kann man sein Unterbewusstes vollkommen schulen. Der Intellekt und das normale Wachbewusstsein werden dann willig folgen.
Yoga Nidra wirkt auf den Körper und auf den Geist. Der ganze Organismus wird sich entspannen, die Psyche erwacht, und es werden Erfahrungen im astralen Bereich möglich. Der gesamte Herzkomplex wird von Druck befreit. Die physische Substanz des Gehirns wird nachhaltig beeinflusst.
Mit Yoga Nidra versuchen wir, über das äußere Verhalten hinauszugehen, indem verschiedene Hirnzentren systematisch stimuliert werden. Erfahrungen, die wir dabei machen, werden uns immer vertrauter. Je sensibler der Geist während der Übung wird, desto mehr gleichen die gemachten Erfahrungen denen, die wir im Traum haben. Der fundamentale Unterschied in der Erfahrung liegt jedoch darin, dass sie viel lebhafter und klarer ist, als jene während des Träumens.
Die Wahrnehmung nach innen ziehen - mit der von Swami Satyananda entwickelten Übung Yoga Nidra
Yoga Nidra gehört zu den höheren Stufen von Patanjalis Raja Yoga, da die Meditationsübung im Wesentlichen der Pratyahara Stufe zuzuordnen ist. Die Wahrnehmung wird allmählich von der äußeren Welt zurückgezogen, vom Körper, vom Atemverlauf, vom Wachbewusstsein und schließlich auch vom Unter- und Unbewussten. Im fortgeschrittenen Stadium, wenn die Entspannung tief ist, beinhaltet Yoga Nidra auch Dharana und Samadhi.
Während Yoga Nidra richtet sich der Geist allmählich auf einen Punkt. Um zu verhindern, dass er sich total zurückzieht, was in den Schlaf führen würde, wird Bewusstheit aufrechterhalten, indem man sich auf das Hören konzentriert. Alle anderen äußeren Wahrnehmungen sind abgeschnitten, ihre Verbindungen in der Großhirnrinde sind unterbrochen, so dass keine Botschaften zu den motorischen Organen gelangen. Normalerweise versorgen die Sinne das Gehirn ständig mit Reizen, die als Botschaften weitergegeben werden und die motorischen Organe automatisch stimulieren, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Wird die Verbindung zu den Sinnen während Yoga Nidra vorübergehend unterbrochen, dann ist das die fünfte Stufe von Raja Yoga, die Pratyahara genannt wird.
Die Wirkung von Yoga Nidra auf die Gesundheit
Die bestehenden Gemeinsamkeiten moderner Gehirnforschung und der vor langer Zeit durch erleuchtete Yogis und Rishis entwickelten Yoga Nidra Technik können nicht länger ignoriert werden. Die yogischen Wissenschaftler vergangener Zeiten haben diese kraftvolle Technik allerdings nicht nur zum Heilen von Krankheiten entwickelt, sondern in erster Linie, um ein höheres Bewusstsein zu erlangen. Dies kann geschehen, wenn die individuelle Wahrnehmung von ihrer Bindung an den physischen Körper und seine sinnlichen Funktionen frei wird. Sie kann sich dann zu den feinstofflicheren pranischen, psychischen und spirituellen Dimensionen ausdehnen, die tiefer liegen als die grobstoffliche Existenz.
Betrachtet man jedoch die Situation des modernen Menschen, der an einer Vielzahl von stressbedingten Krankheiten und Beschwerden leidet, dann lässt sich erkennen, dass sie aus einer übermäßigen Identifikation mit dem materiellen Körper, übermittelt von den Sinnesorganen an das Bewusstsein, resultieren. Das führt zu nervöser Erschöpfung bis hin zum totalen Zusammenbruch. In Yoga Nidra wird diese destruktive psychosomatische Tendenz durch den gegensätzlichen somatopsychischen Weg (Wirkung vom Körper auf den Geist) gelindert. Ist der Pratyahara Zustand erreicht, wird die vitale Nervenenergie Prana von den Sinneskanälen und ihren Wirkungen abgezogen, und in diesem Moment kommt die psychosomatische Disharmonie wieder ins Gleichgewicht. Die dadurch freigesetzte pranische Energie kann zur Heilung und Revitalisierung überbeanspruchter Drüsen und Organe eingesetzt werden.
Wie mache ich Yoga Nidra?
Die von Swami Satyananda entwickelte Yoga Nidra Übung, welche von Swami Satyananda entwickelt wurde, dauert etwa zwanzig bis vierzig Minuten. Es gibt unterschiedliche Übungsgrade, z.B. für Menschen, die an Bluthochdruck oder anderen Krankheiten leiden oder für Menschen, die tiefer in den spirituellen Bereich von Yoga eindringen möchten. Yoga Nidra ist sehr einfach und lässt sich auch mit Hilfe einer CD erlernen.
Suche dir zunächst einen ruhigen Platz, schließe Fenster und Türen und schalte Fernseher und Radio aus. Der Raum darf nicht zu warm und nicht zu kalt sein, und der Körper sollte nicht im Durchzug oder unter einem Ventilator liegen. Da die Körpertemperatur während der Übung sinkt, sollte man sich leicht oder wärmer zudecken. Liegen mehrere Menschen eng zusammen, sollte trotzdem keinerlei körperliche Berührung stattfinden. Die Kleidung ist leicht und bequem.
Schalte den CD-Player an, lege dich in Shavasana und höre auf das, was dir die Stimme sagt. Diesen Anweisungen folgst du gedanklich, ohne dich zu konzentrieren oder den Atem kontrollieren zu wollen, höre einfach nur zu. Es ist sehr wichtig, dass du während Yoga Nidra nicht schläfst. Wenn du schläfst, dann verlierst du die Bewusstheit, die du in der Übung aufrechterhalten willst.
Yoga Nidra ist der Schlüssel, Yoga zu verstehen
Yoga verstehen bedeutet sich selbst verstehen.
Entspannung ist nicht gleich Entspannung. Die Suche nach einer Methode, die wissenschaftlich bestätigt ist und das Leben nachhaltig in all seinen Aspekten positiv verändert, ist groß. In der Übung Yoga Nidra finden wir eine Lösung.
Hier soll über eine Übung gesprochen werden, die weit über Entspannung hinaus in den meditativen Bereich geht und trotzdem einem wissenschaftlichen und spirituellen Anspruch gerecht wird. Sie ermöglicht, dass der mit Ballast angefüllte Geist in kurzer Zeit frei werden kann, und dass sich festsitzende Verspannungen in den verschiedenen Ebenen unseres Körpers und unserer Persönlichkeit auflösen können. Gleichzeitig wird der Geist darin geschult, den Anforderungen eines immer komplexer werdenden Lebens besser gerecht zu werden. Es handelt sich um die Übung Yoga Nidra.
Mit wachsender Akzeptanz bewegt sich Yoga in alle Richtungen der Gesellschaft. Er ist nicht mehr denjenigen vorbehalten, die sich aus dem normalen Leben herausbewegt haben. Er wird nicht mehr nur Frauen zugestanden oder ausschließlich in Yogahäusern, - schulen oder Hobbyräumen praktiziert und hat auch nicht mehr den Kopfstand als einziges Markenzeichen. Die Vielzahl yogischer Übungen, Yogaschulen und -traditionen ist manchmal verwirrend, das Interesse an Yoga jedoch wächst zusehends, erfasst die verschiedensten Medien und selbst in der Werbung sind Yogahaltungen äußerst beliebt. Dieses Phänomen ist wahrscheinlich das Ergebnis eines immer komplexer werdenden Alltags in allen Lebensbereichen und der gleichzeitig auftretenden Sehnsucht nach Harmonie und Entspannung. Zudem wächst ein Empfinden dafür, dass jedem Einzelnen eine große Verantwortung obliegt, nicht nur das eigene Leben in Ordnung zu halten, sondern sich auch für die Mitmenschen und das gesellschaftspolitische Leben einzusetzen.
Der Yoga Nidra Zustand in den großen Schriften
Der Begriff Yoga Nidra verweist auf einen Zustand der absoluten Achtsamkeit, dem Erkennen und Einssein mit dem Höchsten Selbst (Atma), dem Höchsten Bewusstsein. Viele traditionelle und yogische Schriften erwähnen diesen besonderen Zustand. Er drückt sich in folgendem Mythos aus:
Brahma, Vishnu und Shiva stehen für die göttlichen Aspekte des Erschaffens, Erhaltens und Zerstörens. Während Zeiten der Zerstörung ruht Gott Vishnu auf einem Meer aus Milch und wird von einer neunköpfigen Schlange beschützt. Wenn Brahma in Erscheinung tritt, um etwas Neues zu erschaffen, sitzt er auf einem aus Vishnus Nabel herauswachsenden Lotos. Obwohl Vishnu während endloser Zeiten der Zerstörung und der Neuerschaffung im tiefen Schlaf verharrt, hält er trotzdem einen winzigen Spalt der Wahrnehmung geöffnet. So ist das Wissen über die große, alles durchdringende kosmische Kraft beim Neuerschaffen verfügbar, da es während der stets wiederkehrenden Zyklen „Erschaffen – Erhalten – Zerstören“ nicht verloren geht. Dieses Aufrechterhalten der Wahrnehmung auch im tiefsten Schlaf zeichnet den Zustand von Yoga Nidra aus und diesen Zustand zu erreichen, ist das Bestreben eines jeden spirituell erwachten Menschen.
Yoga Nidra ist demnach ein Bewusstseinszustand, in dem wir uns auf der Grenzlinie zwischen äußerer und innerer Welt befinden, nicht ganz wach, aber auch nicht im absoluten Tiefschlaf. Yoga ist Bewusstheit und Nidra ist Schlaf und damit umfasst Yoga Nidra zwei jedem Menschen bekannte Zustände. Sie bewusst zu machen und zu nutzen, ist eine Kunst, die Yogis und weise Menschen beherrschen.
Yoga Nidra als Übung
Yoga Nidra als Übung basiert auf dieser Erkenntnis. Swami Satyananda Saraswati hat sie aus den tantrischen und yogischen Wissenschaften extrahiert, er hat seine eigenen Erfahrungen hinzugezogen und sie mit seiner Nächstenliebe und Wissen um menschliche Zusammenhänge für andere so formuliert, dass es jedem möglich ist, sie an jedem Ort und zu jeder Zeit anzuwenden. Yoga Nidra, auch bekannt als bewusster, dynamischer oder psychischer Schlaf, trägt den Stempel der Bihar School of Yoga und ist heute mit einem Trademark-Zeichen versehen.
Yoga Nidra wird in Shavasana ausgeführt. Dies ist ein Asana, eine Körperhaltung, in der der Körper gut ausgestreckt auf einer Unterlage auf dem Boden liegt, er kann leicht zugedeckt sein, ein kleines Kissen unter dem Kopf ist sogar denkbar (das Bett ist allerdings ungeeignet). Obwohl hier von einer klassischen Yogaübung die Rede ist, gibt es keine akrobatischen Verrenkungen und keine anstrengende Sitzhaltung (obwohl auch das möglich ist), sondern eine Haltung, die wirklich an Schlaf erinnert. Außer einer klaren, immer wiederkehrenden Aufforderung, „Bleibe wach, dehne die Achtsamkeit aus“ gibt es keine Regeln für das, was erlaubt und was verboten ist. Ein in unserer Kultur gut bekanntes Sprichwort lautet: „Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.“ Um geistige Höhen zu erreichen, wurde oft das Leibliche kasteit, was auch gern dem Yoga zugeschrieben wird. In der Übung Yoga Nidra tritt etwas ganz anderes in den Vordergrund: Der Geist verbindet sich mit dem Körper, die Wahrnehmung dehnt sich in jeden Teil des Körpers, in jede der Billionen Zellen aus und macht sie, eine nach der anderen und gruppenweise bewusst. Den Geist mit dem Körper zu verbinden, führt zu absoluter Präsenz, und in der Gegenwart, im Hier und Jetzt, gibt es keine Probleme, keine Anspannung und keinen Stress.
Bekanntlich leben wir in drei verschiedenen Welten, dem Wachbewussten, dem Unterbewussten und dem Unbewussten (Wachzustand, Traumzustand und Tiefschlaf). Zwischen jeder der Welten gibt es eine gut bewachte, wenngleich auch illusionäre Grenze, und diese Trennung verhindert ein Erkennen des Einsseins. Die fehlende Verbindung zwischen den verschiedenen Bewusstseinsstufen macht uns zerrissen, wir sind allein gegen den Rest der Welt, mit Stress angefüllt von einer zur anderen Welt hetzend, ohne innere Verbundenheit und Sicherheit. Es gibt für uns keinen Übergang, keine Brücke von einer Welt zur anderen. Für die Yogis existiert jedoch eine Brücke. Sie dehnen die Wahrnehmung aus, bringen den Geist auf ein hohes Niveau, um daraus einen vierten Bewusstseinszustand entstehen zu lassen. Dieser beinhaltet, dass sich die Wahrnehmung so weit ausdehnt, dass sie in allen Bewusstseinszuständen aufrechterhalten bleibt, sogar bis hin zum Tiefschlaf. Das ist das Geheimnis der Yogis.
Swami Satyananda und Yoga Nidra
Um diesen Zustand ging es Swami Satyananda, als er sich besonders der Tantra-Lehre zuwandte, sie studierte und praktizierte.
Als junger Mann begegnete Swami Satyananda einer tantrischen Yogini und erhielt von ihr eine besondere Einweihung – Shaktipat. Erst auf ihre Anweisung hin begab er sich auf Suche nach seinem Guru, was ihn nach Rishikesh führte. In Swami Sivananda erkannte er seinen spirituellen Meister, der ihn 1947 in den Dashnami Orden von Sannyasa einweihte.
Obwohl seine spirituelle Tradition also eher dem Vedanta angehörte, wuchs in ihm ein brennendes Interesse an der tantrischen Wissenschaft, angefacht durch seine erste Einweihung in Shaktipat und später durch die Inspiration seines Gurus. Nach Jahren der Forschung und eigener Erfahrungen entstand eine ganz neue und erfrischende Art der Vermittlung, die heute Satyananda Yoga genannt wird und sehr viele tantrische Aspekte und Techniken beinhaltet. Yoga Nidra ist eine davon.
Nyasa – eine tantrische Technik und Wurzel des Yoga Nidra
Ein wichtiger Aspekt aus der Tantra-Lehre ist die Übung Nyasa. Die Yoga Nidra Übung, die auch als Essenz von Satyananda Yoga bezeichnet werden kann, ist Swami Satyanandas Interpretation des tantrischen Systems Nyasa. Er erkannte das Potential dieser Technik und setzte sie in einer Weise um, die für jeden anwendbar wurde. So blieb diese wirkungsvolle Übung nicht länger als Requisit für geheime Rituale im Verborgenen.
Nyasa ist ein Sanskritwort und bedeutet, „etwas auflegen, aufdrücken, anbringen“. Nyasa gibt dem Übenden die Möglichkeit, der Materie des stofflichen Körpers eine geistige Kraft, einen Aspekt des Göttlichen aufzulegen und somit eine Transformation zu bewirken. Es ist ein systematischer Weg, psychospirituelle Kräfte im Körper zu verteilen, und die Achtsamkeit über den Körper hinaus in tiefere Ebenen der Persönlichkeit auszudehnen. Auf diese Weise können sich körperliche Verspannungen, emotionales Ungleichgewicht und mentale Verspannungen auflösen. Ein vorher vielleicht freudloses, durch Müdigkeit träge gewordenes Leben voller Ängste und Sorgen wird völlig neu strukturiert und erhält wieder Glanz und Leuchtkraft. Nyasa hat durch den beschriebenen Vorgang auch die Kraft, Krankheiten auf körperlicher Ebene ganz anders zu begegnen als auf herkömmliche Art gegen sie zu anzukämpfen. In der Krebstherapie z.B. lässt man die Patienten ihren Heilungsprozess visualisieren, indem aufgefordert wird, Bilder zu erschaffen, in denen die gesunden Zellen die kranken angreifen, in der gleichen Art, wie eine Armee eine andere angreift. Die vorbeugende und heilende Kraft von Nyasa (und damit von Yoga Nidra) ist durch langjährige weltweite Forschung längst bewiesen. (Ein umfangreiches Quellenverzeichnis befindet sich in dem Buch Yoga Nidra von Swami Satyananda. Siehe: www. yoga-anandaverlag.de)
Wer mit Yoga Nidra vertraut ist, wird erkennen, dass sich Nyasa durch die ganze Übung zieht. Beim Kreisen der Wahrnehmung durch die einzelnen Körperteile und die gedankliche Wiederholung des jeweiligen Namens wird der ganze Körper mit Energie aufgeladen und das Gehirn kann sich zutiefst entspannen. Obwohl hier nur die Namen der verschiedenen Körperteile genannt und vom Übenden gedanklich wiederholt werden (und nicht lange Mantras oder Töne, wie in der ursprünglichen Übung), ist die Wirkung und Intensität kaum geringer. In den dann folgenden festgelegten Elementen von Yoga Nidra geschieht das gleiche, indem gegensätzliche Empfindungen wachgerufen und ausbalanciert, die Energiezentren (Chakras) mit der Wahrnehmung berührt und aufgeladen und schließlich klar umrissene Bilder zur Visualisierung angeboten werden.
Das Sankalpa
Durch den Prozess der Umwandlung des materiellen Körpers gelangt der Übende in die tiefsten geistigen Ebenen, die normalerweise verschlossen sind. Er ist nicht mehr in die alltäglichen Sorgen und Probleme verstrickt und kann das erkennen, was ihm im Leben wirklich wichtig ist. Auf dieser Ebene kann das nicht mehr dieses oder jenes sein, was wir uns irgendwann mal vornehmen, sondern wir erkennen unseren Daimon, unseren tief verankerten Motor, der uns zum Leben antreibt. (Sokrates nannte die schicksalsweisende, inspirierende Kraft, die ihn sein Leben lang begleitete, den Daimon. C.G. Jung hat diesen Begriff in seine Psychologie übernommen und damit den überpersönlichen Aspekt bezeichnet, der zur Verwirklichung des eigenen, individuellen Lebens führt. Ken Wilber ist der Meinung, dass ein Ignorieren des eigenen Daimon dazu führt, dass er zum Dämon wird, so dass nichts im Leben gelingen kann und daher zu Niedergang, Krankheit und Tod führt.) In Yoga Nidra ist dieser Daimon das Sankalpa, der Vorsatz, der Entschluss.
Ist das Sankalpa einmal erkannt und in einen einfachen Satz gefasst, wird dieser Satz am Ende von Yoga Nidra, dann wenn sich die Bewusstheit in die tiefstmöglichen Schichten der Persönlichkeit ausgedehnt hat, mehrere Male wiederholt. Die Kraft des Sankalpas wird also in einem Moment eingesetzt, wenn alle Ebenen des Seins entspannt, vollkommen aufnahmefähig und bereit für ein höheres Lebensziel sind. Das Sankalpa wird nicht irgendetwas Banales oder Materielles sein, das sich am nächsten Tag erfüllt. Ganz allmählich vollzieht sich eine Wandlung, die jeder erkennt, der regelmäßig Yoga Nidra praktiziert.
Der Bezug zu Patanjali und seiner Geisteslehre
Yoga und Tantra sind große Wissenschaften aus uralter Zeit. Sie befassen sich damit, wie der Mensch auf allen Ebenen des Seins Vollkommenheit erlangen kann. In Indien blieb das Wissen zum Teil erhalten, im Westen jedoch wurde es durch die rein objektive Betrachtung und Erforschung der äußeren Welt mehr oder weniger ausgelöscht. Aber in dieser Welt lässt sich nichts auslöschen; was einmal existent war, drängt irgendwann wieder an die Oberfläche. Wir wissen heute, dass Ost und West, Nord und Süd nicht durch Grenzen getrennt sind, wir haben sie nur in unseren Köpfen errichtet. Wir beginnen zu ahnen, dass auch Wachen, Träumen und Tiefschlaf, dass auch Leben und Sterben keine wirklichen Grenzen sind.
Aus der Fülle der alten Yogaschriften nimmt ein Werk einen besonderen Platz ein. Es ist das "Yoga Sutra" von Patanjali oder auch „Raja Yoga“. Patanjali hat vor mehr als zweitausend Jahren in genialer Weise den bis dahin vielschichtigen Yoga als klaren Übungsweg in acht Stufen dargelegt.
Um menschliche Vollkommenheit zu erlangen, müssen die verschiedenen Elemente der menschlichen Natur erkannt und beherrscht werden, was durch einen systematischen Übungsweg möglich ist. Zuerst soll der Körper von Rastlosigkeit, Anspannung und Unreinheit befreit werden, dann wird das Denken geläutert und beruhigt. So erst wird es möglich, sich den nächsten Stufen, Konzentration und Meditation, spannungsfrei und ohne Ablenkung zu widmen. Auf diese Weise kann der Mensch wahrhafte innere Freiheit erlangen, was Voraussetzung dafür ist, im Einklang mit der Natur und in innerer Zufriedenheit mit dem Leben zu fließen.
Yoga Nidra gehört zu der fünften, sechsten und siebten Stufe von Patanjalis Yoga Sutra. Die fünfte Stufe, Pratyahara, ist eine besondere Kraft, die erst kultiviert werden muss. Wenn diese Kraft erwacht, kann sie zur Selbstheilung oder für die Konzentration, Meditation und Samadhi eingesetzt werden. Gleich am Anfang gibt Patanjali Auskunft auf die entscheidende Frage, was Yoga ist:
yoga chitta vritti nirodaha
„Das Meer des Bewusstseins von den Mustern oder Wellen zu befreien, ist Yoga“.
Das Wort Vritti bedeutet Welle oder Ausprägung des Bewusstseins (Chitta). Die Vrittis hat Patanjali in fünf Grundmuster eingeteilt, und eines davon ist Nidra, Schlaf oder Nicht- Bewusstheit, das zweite Wort im Begriff Yoga Nidra. Schlaf oder Nicht-Bewusstheit ist nicht nur der vorherrschende Zustand in der Nacht. Unser ganzes Leben ist davon geprägt. Mit den Gedanken entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft, selten im Hier und Jetzt, verpassen wir den einzigen Moment, in dem Leben wirklich stattfindet, in dem wir frei sind von Ängsten, Sorgen, Problemen, Stress und Überforderung. Dieses Muster, die Nicht- Bewusstheit, aufzulösen, ist der Sinn der Übung Yoga Nidra.
Aufbau von Yoga Nidra
Yoga Nidra ist der "bewusste Schlaf" oder "dynamische Schlaf", ein Zustand, in dem sich alle Ebenen des Bewusstseins bewusst betreten lassen. Yoga Nidra hat einen ganz bestimmten systematischen Ablauf. Die Übung führt von der äußeren Ebene der Wahrnehmung systematisch in tiefere Ebenen des Seins und von dort wieder systematisch zurück. Darin eingebettet sind verschiedene Elemente mit einem klaren Aufbau, von den Anfängen bis zur hohen Schule von Yoga Nidra. Die einzelnen, logisch nachvollziehbaren Schritte der Übung bleiben selbst für den Übenden deutlich erkennbar. Diese Grundstruktur von innen heraus zu erfassen, erfordert große Sensibilität und Übung.
In der kurzen und klaren Zusammenfassung der einzelnen Elemente von Yoga Nidra ist der ganze Weg enthalten – von der äußeren Welt mit dem alltäglichen Wachbewusstsein, dem Sich Lösen von Sinneseindrücken in die innere Welt zum Unterbewussten und Unbewussten. Es ist das Durchschreiten von der äußeren Schale zum innersten Kern. Diese Übung in ihrer Klarheit und Kürze konnte nur von einem wahren Meister gestaltet werden. Will man sich auf diesen Weg begeben oder gar die Übung an andere weitergeben, ist die führende Hand des Meisters unerlässlich. Yoga Nidra kann nicht nach Lust und Laune abgewandelt, mit eigenen Worten umschrieben oder versüßt werden. Die Stimme bleibt neutral, fast monoton, frei von persönlichen Gefühlen, die Sätze einfach, die Worte eindeutig und klar. Sollen sich die positiven Wirkungen zeigen, lassen sich die einzelnen Elemente nicht beliebig austauschen oder gar aus der Übung herauslösen. Oft geschieht das mit den beliebten Visualisierungsübungen, die dem Übenden einfach wahllos vorgesetzt werden, was fatale Auswirkungen haben kann. Erst nach ausreichender Erfahrung und gründlicher Einarbeitung kann Yoga Nidra und ganz besonders dieser Teil von Yoga Nidra weitergegeben werden.
Hieraus wird deutlich, dass das Lesen des Buches nicht ausreicht, um mit Yoga Nidra wirklich vertraut zu sein. Das regelmäßige Üben erst trägt dazu bei, auch die subtileren positiven Wirkungen zu erkennen. Um Yoga Nidra von Swami Satyananda vermitteln zu können, ist es ratsam, an die Quelle zu gehen und dort bereitwillig zu lernen. Werden die einzelnen Übungen aus dem Buch im Unterricht nur vorgelesen, wird das keine große Wirkung zeigen. Hat man sich jedoch auf einen systematischen Lernprozess eingelassen, wird sich ein tiefes Verstehen aus dem Inneren heraus entwickeln und das Gegenüber erreichen. Sind Aufbau und Hintergründe der Übung wirklich verstanden, ist es ganz einfach nicht mehr möglich, sie willkürlich abzuwandeln.
Yoga Nidra in anderen Lebensbereichen
In Yoga Nidra liegt die Kraft, den sich ständig ausbreitenden psychosomatischen Erkrankungen, deren Ursprung meist verborgen bleibt, Einhalt zu gebieten, denn im Yoga Nidra Zustand legen wir das Verborgene frei. Wir können dann die wild wuchernden Lebensängste erkennen und besiegen, und damit kann sich die Einstellung zum Leben vollständig verändern. Aus persönlichen, tief verwurzelten Schwächen können Stärken werden, mit denen nicht nur der eigene Lebensweg gemeistert, sondern auch der Zugang in größere gesellschaftliche Zusammenhänge positiv beeinflusst werden kann.
Bei genauem Hinschauen wird man Yoga Nidra in Schulen, Universitäten, Gefängnissen, in Betrieben und deren Management, in der Politik und vielen anderen Bereichen finden. Diese oft ehrenamtlichen Angebote sind mehr oder weniger noch immer Freizeitangebote. Zu einer für uns alle entscheidenden und wirksamen gesellschaftlichen Anerkennung fehlt noch der Durchbruch. Um diese zu erlangen, ist eine professionelle und umfassende Qualifikation zur Vermittlung erforderlich, um beispielsweise auch für Führungskräfte in Wirtschaft und Politik die positiven Effekte für die Personalführung aufzeigen zu können.
Bihar School of Yoga und Bihar Yoga Bharati
Um dieser Nachfrage gerecht zu werden, also nicht nur Yogalehrer im Schnellverfahren massenweise auszubilden, sondern ein fundiertes Studium der menschlichen Entwicklung und der alten Lehren der yogischen und tantrischen Wissenschaften mit unterschiedlichen Abschlüssen möglich zu machen, entstand neben der Bihar School of Yoga die erste weltweit anerkannte Yoga Universität, die Bihar Yoga Bharati (1994). In diesem Institut für die höheren yogischen Wissenschaften gehört Yoga Nidra in den normalen Lehrplan. Die Studenten aus aller Welt, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Kulturen, Muttersprachen, werden täglich durch die Übung geführt, und gleichzeitig studieren sie den theoretischen Hintergrund mit den physischen, psychologischen, philosophischen und praktischen Aspekten. Ein yogisches Studium, das auf professionelle Ausübung in Wirtschaft und Politik, im Bildungs- und Gesundheitswesen vorbereitet, ist ein Garant dafür, dass eine Methode wie Yoga Nidra für die Entwicklung und für das Wohl der Menschheit ihren Platz findet.
Dem ersten Partnerschaftsinstitut der Yoga Universität in Indien, der „Satyananda Yoga Academy Australia, SYAA“ folgte im Jahr 2004 die „Satyananda Yoga Academy Europe, SYAE“, nach EU Richtlinien gegründet. Im Oktober 2005 läuft ein Pilotprojekt für die yogischen Studien in einem Shaolin-Kloster in Ungarn an.
Der schon 1993 offiziell ernannte Nachfolger von Swami Satyananda, Swami Niranjanananda Saraswati, wird im kommenden Jahr während seiner Europareise auch einige Tage in Deutschland verbringen. Vertraut mit vielen Sprachen und Kulturen durch die ihm gewährte weltoffene Erziehung, ist er gleichzeitig fest verankert in der Tradition. Zu dem Ende Mai 2006 stattfindenden Seminar am Bodensee werden wir demnächst über unsere Website einladen. Das Thema ist darauf ausgerichtet, uns unserer Verantwortlichkeiten in Wirtschaft, Politik, Bildung und Umwelt bewusst zu werden und Wege zu ebnen für ein neues Bewusstsein.
Zusammenfassung
Mit der Überschrift: „Yoga Nidra ist der Schlüssel, Yoga zu verstehen. Yoga zu verstehen bedeutet, sich selbst zu verstehen“ ist eigentlich schon alles über Yoga Nidra gesagt. Die Würze in der Kürze zu erkennen, fällt uns nicht leicht, solange wir alles über den Verstand aufnehmen wollen. Durch regelmäßiges Üben von Yoga Nidra jedoch lassen sich die Türen zu unserem inneren Wissen und Reichtum allmählich öffnen.
Erst dann können wir erkennen, dass Yoga Nidra nur durch die Meisterhand für uns so wertvoll ist.
Die Zähmung der wilden Gedanken
Die Gedanken beruhigen mit Yoga Nidra
Ich möchte euch einige Gedanken über Yoga Nidra mitteilen, weil ich fühle, wie wichtig es ist, Yoga Nidra aus einer umfassenderen Sicht zu verstehen. Ich bin zu der Einsicht gekommen, dass Yoga Nidra mehr ist, als nur ein seelischer Schlaf. Das Bewusstsein nimmt während des Wachseins, des Träumens und des Schlafens unterschiedliche Formen an. In Patanjalis Raja Yoga nennen wir diese Formen Vrittis oder Muster des Bewusstseins. Das Bewusstsein drückt sich in der Wahrnehmung aus; Schlaf ist eine Art der Wahrnehmung und Erinnerung eine andere. Ebenso ist Yoga Nidra eine sehr wichtige Form der Wahrnehmung.
In Patanjalis Raja Yoga ist die fünfte Stufe Pratyahara, auf der das Bewusstsein und die gedankliche Wahrnehmung von den Sinneskanälen gelöst wird. Das ist der Weg zu Konzentration und Meditation. Yoga Nidra ist ein Aspekt von Pratyahara. Während Yoga Nidra schläft man nicht, sondern man nimmt von einer bestimmten Ebene aus wahr.
Wie Yoga Nidra entstanden ist
Vor ungefähr 35 Jahren, als ich mit meinem Guru in Rishikesh lebte, machte ich eine sehr wichtige Erfahrung, die mich auf den Weg zu Yoga Nidra gebracht hat. Ich war dazu beauftragt worden, in einer Ashram-Schule, in der Kinder die Veden lernten, bis 4 Uhr morgens zu wachen; danach schlief ich gewöhnlich ein. Nach ein paar Monaten änderten sich meine Aufgaben. Ein Jahr später fand eine Feier in unserem eigenen Ashram statt, und die Kinder von dieser Schule kamen, um bei uns die Veden zu singen. Als sie sangen, waren mir die Worte vollkommen vertraut, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, wo ich sie gehört haben sollte. Ich fragte meinen Guru, und er sagte mir, dass ich sie gehört habe, während ich in der Schule schlief. Für mich war das eine große Offenbarung.
Wir glauben, dass wir mit Hilfe unserer Sinne lernen; aber durch diese Erfahrung erkannte ich, dass man sich auch ohne ein Sinnesmedium Wissen aneignen kann. Mir wurde klar, dass wir im Schlaf nicht vollkommen unbewusst sind. Auch wenn jemand tief schläft, bleibt die Persönlichkeit in Form einer Wahrnehmung bestehen; und dies ist eine sehr wichtige Wahrnehmungsform, die wach und lebendig die äußeren Situationen aufnimmt. Und durch Bewusstseinstraining kann man sich diesen Zustand zunutze machen.
Ich machte nun viele Versuche, um diese Gedanken zu untermauern, und während ich Texte über Tantra studierte, stieß ich auf wichtige, aber fast unbekannte Praktiken. Schließlich entwickelte ich ein System, das Yoga Nidra heißt. Zuerst nannte ich es schlafloser Schlaf und änderte es dann auf seelischen Schlaf ab. Aber jetzt werden mir die unermesslichen Möglichkeiten von Yoga Nidra immer bewusster, und ich denke, Yoga Nidra ist einfach Yoga Nidra! Falls Sie mich fragen, wie Yoga Nidra auf deutsch übersetzt heißt, werde ich sagen: Yoga Nidra! Es ist eine ganz internationale Übung.
Entspannung bei voller Wahrnehmung
Erst kürzlich sah ich einen Forschungsbericht von der Menninger Foundation in den Vereinigten Staaten. Unter der Leitung von Dr. Green legten die Forscher Swami Rama ein Elektroenzephalogramm an, um die Gehirnströme bei zunehmender körperlicher, mentaler und emotionaler Entspannung während Yoga Nidra zu messen. Das Ergebnis war eine Offenbarung für die Wissenschaft. Swami Rama fiel in tiefen Schlaf, das bestätigten seine Delta-Wellen im Hirn. Er nahm jedoch weiterhin seine Umgebung voll wahr. Später erinnerte er sich an alle Vorfälle im Labor und an alle Fragen, die ihm während der Tiefschlafperiode gestellt wurden. Nach einem Bewusstseinstraining kann man sich in einen solchen Yoga Nidra-Zustand hineinbegeben. Seine Wiederentdeckung hat tiefgreifende Folgen für Medizin und Sozialwissenschaften.
Wenn du Yoga Nidra übst, musst du dir klar darüber sein, dass du versuchst, den dynamischsten Zustand deines Bewusstseins zu entfalten. Während des Wachseins und im Traum vergeuden wir die Kräfte, die diesem tieferen Zustand zugrunde liegen. Du hast diese Anlagen auch jetzt; aber das Bewusstsein lässt sich gern ablenken; wir werden also durch die Sinneskanäle so weit abgelenkt, dass wir nicht in diesen Zustand kommen können.
In einem solchen Zustand verschwindet sogar das Gefühl der Selbstwahrnehmung. Wenn du dich konzentrierst, weißt du, dass du dich konzentrierst; aber wenn du Yoga Nidra machst, kommt der Augenblick, in dem du nicht mehr weißt, dass du Yoga Nidra machst. Wenn sich das Bewusstsein von den Sinneskanälen trennt, wird es sehr wirksam; aber das braucht Übung. Die unwillkürlichen Hirnsysteme müssen gewissenhaft trainiert werden, sonst gibt es keinen Unterschied zwischen gewöhnlichem Schlaf und Yoga Nidra.
Viele Menschen glauben immer noch, dass Yoga Nidra nur eine Entspannungsübung ist, und trotzdem wissen sie nicht einmal, was Entspannung bedeutet. Du bist müde also gehst du ins Bett und denkst, dass du dich entspannst. Aber bevor du nicht frei bist von körperlichen, gedanklichen und emotionalen Spannungen, bist du niemals entspannt. Diese dreifachen Spannungen müssen erst entfernt werden; dann erst dämmert die wahre Entspannung. Durch Yoga Nidra werden diese dreifachen Spannungen entfernt.
Wie wir uns aufnahmefähig machen können
Wenn wir das menschliche Bewusstsein aufnahmefähig machen wollen, muss zuerst die Zerstreutheit verschwinden. In Yoga Nidra wirst du aufnahmefähig, weil dein emotionales Bewusstsein arbeitet. Wenn ich dir sage, dass dieses falsch und jenes richtig ist, wirst du mir zustimmen, aber das ist nur verstandesmäßige Übereinstimmung. Trotz der Tatsache, dass du mit mir einer Meinung bist, ist es dir nicht möglich, dies in deinen Alltag einzubeziehen.
Während meiner Wanderzeit traf ich in einem indischen Dorf einen Mann, der ein Dieb und Räuber war. Wir redeten und redeten miteinander, und schließlich war er überzeugt, dass das, was er tat, nicht richtig ist. Er kam sogar zu der Einsicht, ein Sünder zu sein; und ich glaubte, ein Wunder vollbracht und ihn erfolgreich überzeugt zu haben! Als ich nach fünf Jahren in das Dorf zurückkehrte, fand ich ihn als denselben Menschen wieder, weil ich nur seinen Verstand und nicht sein ‚Selbst’ überzeugt habe.
Ich lebte nun ein halbes Jahr in dem Dorf, weil ich mich zu der Zeit an jedem Platz längere Zeit aufhielt. In einer Schule gab ich den Schülern und Lehrern Yoga Nidra. Glücklicherweise oder unglücklicherweise nahm er daran teil. Er wusste nicht, dass er sich in der Höhle des Löwen befand. Ich weiß nicht, wie viele Yoga Nidra-Stunden er besuchte, aber er gab seine Tätigkeit kurz danach auf.
Verstandesmäßige Überzeugung ist ein Punkt im menschlichen Leben, und wir alle sind von Gutem oder Bösem überzeugt. Aber für alles, was wir uns zu Eigen machen wollen, müssen wir auch gefühlsmäßig empfänglich sein. Und dazu muss Zerstreutheit und Ablenkung abnehmen. Wenn das Bewusstsein harmonisch ist, werden der Fluss und die Wellen des Bewusstseins ruhiger. Was immer dann als Eindruck kommt, wird zum Korrektiv, wird Bestimmung und Richtung.
Yoga Nidra mit Kindern
Ich versuchte Yoga Nidra zuerst mit Kindern, die jede Nacht das Bett nässten. Das war ein sehr einfaches Experiment. Die Mutter eines sechsjährigen Kindes, das ins Bett machte, fragte jeden Morgen: "Warum tust du das?" Dem Kind tat es leid, und am Abend sagte die Mutter: "Mach das Bett heute Nacht nicht nass." Die Mutter setzte ihre Ermahnungen dem Kind gegenüber fort, und das Kind nässte weiterhin das Bett.
Ich brachte das Kind in mein Bett und erzählte ihm eine kurze Geschichte und sagte ihm: "Immer wenn ich eine Pause mache, sagst du Hmm." Nach ein oder zwei Minuten hörten seine Erwiderungen auf. Ich nannte seinen Namen und fragte: "Verstehst du meine Geschichte?" Das löste eine Antwort aus: "Hmm." Dann fragte ich es: "Hörst du jetzt zu?" Und es gab keine Antwort. Ich weckte es sofort auf und sagte: "Wenn du fühlst, dass du das Bett nässen musst, wecke mich bitte auf." Das war genug, um diese Angewohnheit zu heilen. Ich übertrug dasselbe Experiment auf viele andere Kinder, und alle hörten mit dem Bettnässen auf.
Die Mutter ermahnte das Kind jeden Tag. Das Kind hörte es, fühlte es und fürchtete sich davor; aber es machte weiterhin ins Bett. Wenn es im schlafenden Zustand an der Schwelle des Bewusstseins war, wusste es nicht, was ich ihm erzählte. Es gab keinen sichtbaren Grund, warum es dies trotzdem fühlte; womöglich hörte es mich überhaupt nicht richtig, denn sein Hirn hat sich in den Ruhezustand zurückgezogen. Was wirkte auf das Kind ein, und welche Beziehung besteht zwischen dem Zustand des Hirns und der äußeren Situation? Falls man dem Kind etwas anderes vermittelt hätte, falls man es italienisch, französisch oder deutsch unterrichtet hätte, oder falls man es in irgendeiner kriminellen Tätigkeit unterrichtet hätte, so hätte es das auch angenommen.
Viele Forscher benutzen heute die Entdeckung dieser tieferen inneren Persönlichkeit, um neue Erziehungsmethoden zu entwickeln, die den normalen intellektuellen Bewusstseinsprozess umgehen. Das basiert auf den Erlebnissen, die ich in Rishikesh hatte und das bringt eine totale Revolution in die Erziehung.
In Bulgarien hat Dr. Lozanov, Leiter des Instituts für Suggestologie und Parapsychologie in Sophia die Suggestologie entwickelt, die auf Yoga Nidra basiert. Tiefe Muskelentspannung und Lösung von Sorgen und Ängsten aus Hirn und Bewusstsein ist eingeschlossen. Daraufhin tritt tiefe Entspannung und Aufnahmefähigkeit ein, und das erzeugt Alpha-Wellen. Diesen Zustand benutzt Dr. Lozanov, um eine Fremdsprache zu lehren – im Bruchteil der sonst üblichen Zeit. Ebenso hat er Neurosen und Allergien in diesem Zustand behandelt, Anästhesie herbeigeführt, Blutverlust gedrosselt, Wundheilung beschleunigt und Infektionen nach Operationen verringert; und er hat psychische Fähigkeiten entwickelt.
Wunderbare Dinge entstehen aus dem Zusammenfließen von Yoga und Wissenschaft. Aber eines muss betont werden. Die moderne Erziehung basiert auf Yoga Nidra, aber es ist nicht Yoga Nidra. Während das Prinzip der Entspannung von physischen, emotionalen und gedanklichen Spannungen und das Öffnen unserer unterbewussten Tiefen unserer psychophysiologischen Persönlichkeit dasselbe ist, basieren viele moderne Techniken auf Hypnose. Sie kultivieren einen passiven, suggestiven Zustand, in dem die Versuchsperson nicht mehr bewusst teilnimmt. Der Intellekt kann umgangen werden, um Heilvorschläge, Verhalten, Konzepte, Philosophien usw. zu pflanzen. Das ist eine Art Hypnose und ist sehr wirkungsvoll, wenn man sie anwendet. Nun, ist jeder in der Lage, diese große Verantwortung auf sich zu nehmen, die angeborenen Fähigkeiten und Potentiale in einem anderen Menschen zu entwickeln?
Um das Bewusstsein und die innere Persönlichkeit eines anderen zu verändern, muss man frei sein von Spannungen, Neurosen, Komplexen und allen persönlichen Problemen. Man muss ein tiefes Verständnis über den Zusammenhang von Körper und Bewusstsein haben. Die Langzeitwirkungen eines solchen Trainings sind noch nicht wissenschaftlich ausgeforscht. Viele große Entdeckungen wie z. B. die Spaltung des Atoms sind missbraucht worden.
Yoga Nidra unterscheidet sich ganz und gar von Hypnose. In Yoga Nidra benutzen wir die Autosuggestion nur für einige Sekunden, und das nennen wir Sankalpa, den Entschluss. Yoga Nidra ist eine dynamische Methode, mit der man bewusst seine inneren Fähigkeiten kultiviert. Anstatt das Wissen nach innen gebracht wird, erlauben wir in Yoga Nidra dem inneren Wissen, sich zu entfalten. Erinnerung, Einfühlungsvermögen, Entspannung, Intelligenz, die Fähigkeit, die Sinne zu kontrollieren usw. sind nur einige unserer schlafenden inneren Fähigkeiten, die darauf warten, erweckt zu werden.
Dies sind nur Nebenwirkungen, denn hauptsächlich führt Yoga Nidra zu einer größeren Wahrnehmung. Das erreichen wir durch aktives Teilnehmen, durch das Lernen, wie wir tief in unser Bewusstsein und Hirn graben und die verschiedenen Schalter und Mechanismen aktivieren können; das führt uns zu neuer Wahrnehmung, Kreativität und Intuition, zu der Quelle von allem äußeren Wissen. Und das alles kommt von einer einzigen Technik, die von jedem benutzt werden kann.
Therapeutische Bedeutung von Yoga Nidra
Yoga Nidra wird bei Hypertonie, bei Herzkranzgefäßleiden und bei Schlaflosigkeit erfolgreich angewandt. Die verschiedensten Krankheiten mit Yoga Nidra zu heilen, wird ein neues und aufregendes Abenteuer für die Wissenschaftler sein. Krebstherapeuten in Australien und Texas erzielen mit Yoga Nidra gute Ergebnisse.
Es ist aber wichtig, Yoga Nidra mit dem yogischen Bewusstsein in Beziehung zu bringen. Es ist weder eine Therapie, noch eine Behandlung. Es ist in erster Linie ein Übungsweg, durch den wir fähig werden, unsere Wahrnehmung in einen gewünschten Zustand zu bringen. Es ist wissenschaftlich nachweisbar, dass dabei das Zentralnervensystem im Gehirn beeinflusst wird. Wenn du übst, jeden Teil deines Körpers wahrzunehmen, so ist das nicht nur eine monotone Konzentrationsform. Wenn immer du deine Wahrnehmung auf einen Teil deines Körpers richtest, überwachst du den Einfluss auf die höheren Hirnzentren. Verstehst du, was ich mit Überwachen meine? Es bedeutet, über die höheren Hirnzentren die Befehlsgewalt auszuüben.
Die äußere weiße Oberfläche des Hirns ist in verschiedenartigen Falten angeordnet. Diese Falten werden Gehirnwindungen genannt. Entlang der mittleren Windung im Hirn hat jeder Teil des Körpers einen Punkt. Daumen, Zeige, Mittel-, Ringfinger und kleiner Finger, Handgelenk, Ellbogen, Schulter usw.; alle diese Gebiete spiegeln sich auf einer Gehirnwindung wider.
In Yoga Nidra entspannen wir unser Bewusstsein, indem wir unseren Körper entspannen. Wir sprechen langsam, in gleichbleibendem Tonfall vor: rechte Hand, Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger...., während sich die Teile des Körpers zusammen mit ihren in Beziehung stehenden Punkten im Hirn entspannen. Es wurde behauptet, dass wir mit dem monotonen Tonfall einen Zustand der Hypnose schaffen. Aber Yoga Nidra ist weit von Hypnose entfernt. Es ist eine Yoga-Übung, und es ist ein Zustand im Pratyahara.
In Patanjalis Raja Yoga ist die fünfte Stufe Pratyahara. Die erste Stufe ist Yama, dann Niyama, dann Asanas, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und schließlich Samadhi. Pratyahara ist eine besondere Kraft, die erst kultiviert werden muss. Wenn du diese Kraft erweckst, kannst du sie zur Selbstheilung oder für die Konzentration, Meditation und Samadhi einsetzen.
Wenn Pratyahara tief und kraftvoll wird, und das Hirn sich vollkommen gelöst hat, werden die schlummernden Bereiche angeregt und mit Energie durchflutet.
Visionen und psychische Ausbrüche sollten während Yoga Nidra nicht auftauchen. Aber die Stimme, die du hörst, kann leise werden, so als ob jemand weit entfernt spricht oder flüstert. Aber das Bewusstsein bleibt in fließender Bewegung, die Wahrnehmung wird nicht unterbrochen. Du kommst nicht auf eine psychische Ebene, aber du kommst an die Grenze des Bewusstseins. Das Bewusstsein umfasst nicht mehr dasselbe, als wenn du denkst. Es ist ein sehr schöner Zustand, den die Wissenschaftler ‚hypnogogic’ oder ‚hypnopompic’ nennen; ich nenne ihn die Schwelle zwischen dies und das.
Jeder hat seine eigenen Grenzen, und ich habe meine. Ich muss mich um die Verwaltung so vieler Ashrams auf der ganzen Welt kümmern, und ich muss mich um meine Schüler und alle anderen sorgen. Deshalb ist es mir unmöglich, meine Erfahrungen mit Yoga Nidra fortzusetzen, aber ich bin sicher, dass es jemand anderes tun wird.
Du kannst dir Yoga Nidra selbst beibringen. Jeder kann im Leben versagen, aber wenn du dich in Yoga Nidra für etwas entscheidest, kannst du es erreichen. Versuche Yoga Nidra auf jede Form des Leidens anzuwenden; versuche es in deiner familiären Situation und warte ab, welchen Nutzen es bringt.
Ich nenne Yoga Nidra ‚die Zähmung wilder Gedanken’. Es ist eine Technik, diese wilden Gedanken – das menschliche Bewusstsein – zu zähmen. Dieses zügellose, dieses ungeordnete, gebrochene und schizophrene Bewusstsein kann in ein schönes Muster gebracht werden, wenn du Yoga Nidra übst.
(Aus: Yoga Magazine, February 1980; Yogaheft 2) - von Swami Satyananda Saraswati